„Wenn wir nach Knoydart kommen, müsst ihr unbedingt den Pub von Inverie kennenlernen. Er ist als einsamster Pub von ganz Schottland bekannt.“ Sandra, unsere Reiseleiterin, blinzelt uns zu. „Ganz abgesehen davon, dass das Bier dort hervorragend schmeckt.“
Der einsamste Pub von Schottland? – Das klingt abenteuerlich. Und so verlassen wir am frühen Abend unser Schiff, die „Lord of the Glens“, und peilen zielsicher eines der weißen Häuser an, die in Inverie dem Wind und der Kälte, der salzigen Gischt und dem Nebel trotzen.
Besuch in „The Old Forge“
„The Old Forge“ heißt die Kneipe, die tatsächlich nur mit dem Boot oder über einen 27 Kilometer langen unbeschilderten Fußweg erreichbar ist. Ganz schön viel Mühe für ein Pint nach Feierabend. Deswegen verirren sich nicht besonders viele Fremde in den Pub. Wer hier sein Bier an der Theke bestellt, kennt den Mann, die Frau neben sich meistens auch. Schließlich leben nur rund 150 Menschen in Inverie, dem Dorf an der Südküste der Halbinsel Knoydart. Im Sommer kommen dann noch ein paar Feriengäste hinzu. Leute, die die Ruhe lieben. Die gerne wandern, den Adlern bei ihren Flugkünsten zusehen oder für ein paar Stunden die Angel ins Wasser halten.
Knoydart liegt östlich des Sound of Sleat, der die Isle of Skye vom schottischen Festland trennt. Nach Norden und Süden wird die Halbinsel durch die Meeresarme Loch Hourn bzw. Loch Nevis begrenzt. Es gibt keine Straßenverbindung. Wer nach Inverie will, kann nur die Fähre von Mallaig nehmen. Oder er kommt so wie wir mit einem kleinen Kreuzfahrtschiff.
Wir öffnen die Tür zum Pub und neben einer heimeligen Wärme, die von einem offenen Kaminfeuer ausgeht, schlägt uns Stimmengewirr, Musik und der Geruch nach einem torfigen Whisky entgegen. Es gibt einen Billardtisch, ein Klavier, Stühle und Tische. Sandra sitzt schon an einem und winkt uns entgegen. Ein Collie hat sich zu ihren Füßen breitgemacht und hält zufrieden ein Nickerchen. Er heißt Bren, wie wir später erfahren, als wir uns mit seinem Herrchen David Newton unterhalten.
Die Dorfbewohner kauften den Pub
Der Schotte von der einsamen Halbinsel eist sich von seinen Nachbarn los und plaudert ein wenig aus dem Nähkästchen. Etwa darüber, dass der vorherige Pub-Besitzer – ein Auswärtiger – die geliebte Kneipe in einen teuren Edelschuppen umwandelt wollte. Das funktionierte nicht. Keiner ging mehr abends in den Pub, doch der gewohnte Treffpunkt fehlte. So taten sich die Einwohner von Inverie zusammen, sammelten Spenden, beantragten Fördergelder und gründeten sogar eine Stiftung. Nach gut einem Jahr war es soweit und die Dorfbewohner konnten „The Old Forge“ übernehmen. Heute ist der Pub wieder an jedem Abend im Jahr gemütlicher Versammlungsort, um den Tag zu beschließen, gemeinsam zu klönen, zu lachen, Karten zu spielen.
„Schon unser örtliches Bier probiert?“
David weist mit dem Kopf zur Theke mit den Zapfhähnen hinüber. „Das wird nur ein paar Gehminuten von hier in einer Kirche gebraut.“
Brauerei in der Kirche
Die schauen wir uns natürlich an. Der Weg zur Kirche führt vom Meer ein paar Meter ins Landesinnere einen Berg hinauf. Der Weg wurde gerade frisch gemäht. Es duftet nach Gras. Ein paar Hühner laufen uns entgegen. Eine Schaukel pendelt sachte unter dem dicken Ast einer Buche. In der Ferne glitzert das Meer.
Hier sind Samantha und Matthew Humphrey zu Hause. Sie waren aus London nach Inverie gezogen, weil sie ihre drei Kinder lieber an einem so schönen und friedlichen Ort aufziehen wollten als in der Großstadt. „Und wir haben es nie bereut – auch wenn es eine Menge Arbeit ist und es hier manchmal ganz schön einsam sein kann“, sagt Samantha. Vor vier Jahren kaufte das Paar die Kirche und begann damit, sie zu einer kleinen, aber feinen Privatbrauerei umzubauen. „Wir produzieren mittlerweile sieben verschiedene Biere“, erzählt Matthew stolz. Als Ziel haben sich die Humphreys 800 Liter in der Woche gesetzt. „Aber so weit ist es noch nicht“, schmunzelt Matthew.
Die Knoydart Foundation
Doch wer weiß … In den Sommermonaten kommen inzwischen gar nicht mehr so wenige Naturfans, die tagsüber die wunderschöne, wilde Landschaft erkunden und abends ihr Bierchen im Pub trinken. Viele von ihnen wissen gar nicht, dass es Knoydart vor wenigen Jahren auf die Titelblätter der größten Zeitungen geschafft hatte. Mit einer einzigartigen Aktion …
In den neunziger Jahren hatte der Eigentümer der Halbinsel, ein englischer Landlord, die knapp 6961 Hektar Land von Knoydart nicht mehr halten können. Er war verschuldet und saß wegen Betrugs im Gefängnis. Damals gab es nur 68 Einwohner auf der Halbinsel und die taten sich zusammen, um der jahrhundertelangen Fremdherrschaft ein Ende zu setzen. 1999 kauften sie das Land, auf dem sie lebten. Zwei Jahre zuvor hatten sie die Knoydart Foundation gegründet, eine Gesellschaft, die noch heute das gekaufte Land demokratisch verwaltet. Wichtig ist den Einwohnern vor allem auch der Erhalt der Natur und Tierwelt. Was wiederum die Feriengäste zu schätzen wissen.
Text & Fotos: Susanne Müller
Infos über Knoydart
Inverie und die Halbinsel Knoydart standen auf dem Programm einer Schottland-Kreuzfahrt mit der „Lord of the Glens“ (maximal 42 Gäste). Das Schiff bringt Urlauber durch die offenen Gewässer der schottischen Küste und den gesamten Kaledonischen Kanal, der nicht nur die berühmten Lochs von Schottland verbindet, sondern auch mitten durch die sagenumwobenen Highlands führt. Kreuzfahrer erleben historische Burgen und Schlösser, malerische Küstenorte und zauberhafte Gärten. Diese Reise wird von Lernidee Erlebnisreisen angeboten. Die Reportage über diese Kreuzfahrt gibt es im Kreuzfahrtmagazin WELCOME ABOARD 2023 (im November im Handel).
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